Tunesien 2008

Die Hummel und die Wespe
Ein ungleiches Pärchen in der Sahara

„Gib mir mal den Schlüssel! Kann ich nicht eine Probefahrt machen?“ fragt uns Mehdi, der Besitzer des Cafés am alten Fort in Ksar Ghilane mit verzücktem Gesicht. Nach einem anregenden Gespräch wollte er auf der Suzuki probesitzen. Aber eine Probefahrt mit den voll beladenen Quad kommt nicht in Frage.

Aber wie sind wir hierher gelangt? Unsere Reise begann vor zwei Wochen in Genua, um mit der Fähre über das Mittelmeer nach Tunis zu gelangen. Mit dabei ist Ingo mit seiner Suzuki LTZ 400 auf seiner ersten Saharatour, und ich mit meiner Honda 680er Rincon.

Nach der Überquerung des Col du Haddege und des Halfaya Passes mit ihren beeindruckenden Gebirgslandschaften,schlagen wir in Douz unser Lager für die Nacht auf, checken noch einmal die Quads durch und kaufen die notwendigen Lebensmittel ein. Denn von hier aus wollen wir für mehrere Tage in die Dünen. Unser Ziel ist der Ain Oudette, der verlorene See! Sehr unzugänglich und nur für Erfahrene wirklich gut machbar.

Zunächst geht es aber am Berg Tembain vorbei, eine ideale Strecke, um sich an das Dünenfahren zu gewöhnen, da die Schwierigkeitsgrade langsam ansteigen: von der Piste bis zur leichten Dünenüberquerung.

Unsere erste Nacht in den Dünen verbringen wir dann südlich des Tembains, inmitten einer atemberaubenden Kulisse von Sand und Fels.
Die Ruhe beeindruckt mich immer wieder, eine Ruhe, wie ich sie bei uns nicht erleben kann.

Nun haben wir unsere schwierigste Strecke vor uns: auf dem direkten Weg zum verlorenen See. Quer über jede Düne, egal wie hoch sie ist.
Allerdings werden sie hier eng und unübersichtlich, sie sind nicht einfach zu befahren.Für die Quads ist das Dünenfahren allerdings das reinste Vergnügen.

Langsam und gemütlich wie eine Hummel setzt die Rincon über die Dünenkämme, und mit Drehzahl und Geschwindigkeit wie eine Wespe setzt die Suzuki hinterher.

Mittags ist die Fahrsituation besonders schwierig, durch die hoch stehende Sonne sehe ich kaum noch die Konturen der Dünen. Da heißt es aufpassen, den richtigen Weg zu finden, und ich muß mich aufs äußerste konzentrieren.

Und an diesem Tag passiert mir das Schreckliche, ich verschätze mich um nur wenige Zentimeter, fahre einen Kamm hinauf, erwische den Grat nicht richtig und ich etwas zu früh die Räder einschlage!
Zu denken „sie kippt“ und zu wissen, ich kann das Gewicht seitlich nicht mehr ausgleichen, ist eins.
Ganz allmählich nimmt die Honda eine immer schrägere Lage ein. Ich denke nur noch: „weg von der Rincon, sonst liegst du drunter“.

Mich abstoßend den Hang herabkollernd sehe ich direkt neben mir den Schatten der Hummel ebenfalls den Dünenhang herabrollen.

Wieder heil aufstehend sehe ich unter mir die Honda auf dem Rücken liegend im Dünental.
Ich mache geschockt ein, zwei Photos, bevor ich mir überlege, wie ich das Teil wieder aufrichten kann. Ingo kommt etwas später an die Stelle, er hat den Sturz gar nicht so mitbekommen.

Zum Glück ist mir nichts passiert.

Gemeinsam richten wir die 450-Kilo-Fuhre wieder auf.

Ich staune noch, dass offensichtlich bis auf ein paar Kratzer an der hinteren Alukiste auch der Rincon gar nichts passiert ist, was sich aber noch an diesem Tag als falsch herausstellen sollte!

An einem hohen Dünenzug, den wir überqueren müssen, passiert der für heute zweite Faux Pas! Ich fahre mit höherer Geschwindigkeit die Düne rauf. Kurz vor der Höhe macht eine kurze Senke einen kleinen Schlag im Gefährt, es geht steil bergauf, und Gewicht ausgleichend beuge ich mich nach vorne über den Lenker. Plötzlich kippt die Rincon nach hinten, ich mache einen unfreiwilligen Wheelie und lande auf der hinteren Alukiste fest im Sand! Wie das? Aber mir ist nichts passiert und ich schaffe die Rincon wieder auf alle Viere.

Noch vorsichtiger und sichtlich fahrpsychologisch angeschlagen, machen wir uns weiter auf den Weg.

Und kurze Zeit später passiert mir der dritte Unfall.

Auf einer Düne leicht bergan macht die Honda einen Satz, mein Gewicht ist wieder nach vorne über den Lenker gelegt, mich reißt es trotzdem nach hinten und ich mache mitsamt der Rincon eine Rolle rückwärts. Da habe ich keine Zeit mehr zum Reagieren und mich von der Honda zu trennen. Ich kann mich nur noch seitlich wegducken, den Platz zwischen Sitzbank und Alukisten einnehmen, um nicht von 450kg erdrückt zu werden.

Geschockt und wütend krabble ich unter der Honda hervor und mache eine Schadensbegutachtung.

Der Rahmen des Atv’s ist in Ordnung und auch sonst scheint alles an seinem Platz und fest.

Fest? Die hintere Alukiste hat sich gelöst. Und da haben wir auch die Ursache für die Rolle rückwärts und den Wheelie gefunden: die Kiste, die sich beim ersten Sturz vom Gepäckträger losgerissen hatte, hat sich mitsamt den Spritkanistern und dem Wasser (insgesamt ca. 150 kg) bei den Hochfahrten nach hinten bewegt und die Rincon förmlich vorne hochgerissen, so dass ich keine Chance hatte, dies mit meinem Gewicht noch auszugleichen.

Froh, dass mir nichts passiert ist, fahre ich sehr vorsichtig weiter durch die immer schwieriger werdenden Dünen.

Gegen Abend kommen wir dann am verlorenen See an. Warum der See bei den Europäern so heisst, weiß kein Mensch mehr.

Das Bad in der warmen Quelle des Ain Oudette, wie ihn die Einheimischen nennen, habe ich mir redlich verdient, nach all den Saltis heute. Für längere Zeit genieße ich den Abend im Wasser, entspanne meine Muskeln, und danke den Schutzkräften, dass es mir gut geht.

Am anderen Morgen müssen wir zunächst einige hohe Dünenzüge überqueren, was für mich mit umsortiertem Gepäck wieder eine Freude ist. Immer mehr traue ich mich in die Dünen reinzulegen, bis ich kurz vor Ksar Ghilane im Zemlet es Struj im Dünenrausch die Dünen entlangfliege. Hier sind sie viel regelmäßiger als um den See herum und ich erkenne den Rhythmus, der nötig ist, um ohne anzuhalten lange Zeit in den Dünen zu fahren und fast zu fliegen. Herrlich wie ich immer höher komme, immer mehr mit meinem Herz dem auf und ab des Sandes verfalle.

Leider ist dieser Dünenzug viel zu kurz, und viel zu schnell überqueren wir die Dünen auf dem Weg nach Ksar Ghilane.

Vor dem Midas ereilt Ingo aber eine Reifenpanne, die uns noch länger beschäftigen wird.

Ich sehe erst recht spät in den Rückspiegel und sehe wieder: richtig: nichts - keine kleine gelbe Wespe, die mir hinten dran hängt, keine Staubwolke, kein Ingo.

Beunruhigt fahre ich zurück, und nach ein paar Minuten sehe ich Ingo und seine Susi mitten in der Ebene stehen, mit einem platten Hinterreifen.

Wir ziehen einen Schlauch ein und können damit weiterfahren.

In Ksar Ghilane können wir ein wenig unsere Vorräte auffüllen, leckeres, in einer dicken Pfanne gebackenes Wüstenbrot kaufen und an der immer noch endzeitmäßig wirkenden Tankstelle aus Kanistern unser Benzin auffüllen.

Recht früh verlassen wir Ksar Ghilane, um über das eigentliche Fort Ghilane auf der direkten Route nach Douz zurück zu fahren.

Das Ksar (übersetzt heißt das Fort) steht auf einem Hügel und soll schon von den Römern vor 2000 Jahren hier an dieser Stelle angelegt worden sein.

Hier treffen wir auf Mehdi Essid, dem Besitzer des Cafés am Fort.

Schick sieht er aus, wie er als stolzer Targi verkleidet auf Ingos „Quad-Kamel“ da zur Probe sitzt.

Anschließend führt er uns noch durch das kleine Fort und erzählt uns ein paar spannende Geschichten von Römern und Franzosen.

Aber wir wollen weiter, bezahlen den leckeren Tee, verabschieden uns von Mehdi und fahren den Hügel wieder runter, um auf die Piste nach Douz zu treffen.

Nach einer letzten Nacht in den Dünen kurz vor dem Café la Porte du Desert mit endlich einmal freiem Himmel kehren wir wieder nach Douz zurück.

Am Camping in Douz angekommen, gibt es viel zu erzählen, da wir dort ein paar Bekannte treffen.

Am anderen Morgen wollen wir weiterfahren nach Matmata, um uns dort die sehr schöne Gebirgslandschaft und die Höhlenwohungen, die bei Star Wars als Kulisse gedient haben, anzuschauen.

Leider lässt Ingo den kaputten Reifen in Douz nicht reparieren, und so geschieht es, das mitten zwischen Douz und Matmata der Reifen wieder platt wird.

Nach einigen Kilometern Fahrt mit dem abmontierten Rad nach Matmata Nouvelle, wo den Reifen doch keiner richtig reparieren kann, tauschen wir die Reifen in Matmata gegen abgefahrene Reifen aus, so dass wir doch noch weiter in den Norden fahren können.

Nach einem guten und reichhaltigem Frühstück in Gabes fahren wir gemütlich nach Karthargo, um im Hotel Amilcar noch zwei Nächte zu verbringen, da wir noch nach Tunis in die Altstadt wollen.

Leider wartet schon am nächsten Tag die Fähre auf uns, allerdings sind wir zu früh, und so genießen wir die letzten Stunden in Afrika in einem Strassencafé am Meer, bevor wir das Chaos der Einschiffung hinnehmen.